Der Ministerpräsident von Sachsen Anhalt, Reiner Haseloff, hat in einem Artikel in der „Welt“ am 28.04.2025 deutliche Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk geäußert. Der Redaktionsrat des MDR hat nun die Vorwürfe in einem offenen Brief zurückgewiesen. Die AGRA unterstützt diese Replik in vollem Umfang – deshalb veröffentlichen wir diesen Brief hier:
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Offener Brief
Der Redaktionsrat des MDR weist die Kritik von Ministerpräsident Haseloff zurück
In seinem Meinungsbeitrag vom 28.04. in der WELT hat Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff deutliche Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk geäußert. Der Redaktionsrat des Mitteldeutschen Rundfunks weist diese Kritik entschieden zurück.
Mit Überraschung und Unverständnis haben wir die Äußerungen des Ministerpräsidenten zur Kenntnis genommen. Zwar gibt es Punkte, in denen sich Herr Haseloff und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des MDR einig sein können: Unbestritten ist etwa, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk ein Schutzraum für verlässliche Information, ein Garant für Meinungsvielfalt und ein Eckpfeiler demokratischer Kultur sein muss. Diese Aufgaben sind im Rundfunkstaatsvertrag klar definiert – und sie bestimmen unser tägliches journalistisches Handeln.
Vor diesem Hintergrund ist der Vorwurf, der öffentlich-rechtliche Rundfunk bevorzuge „linke“ oder „grüne“ Positionen, aus unserer Sicht nicht haltbar. Den festen und freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des MDR ist ihre Pflicht zu objektivem, ausgewogenem Journalismus bewusst. Täglich stellen wir komplexe Themen sachlich, tiefgründig und unabhängig dar – unabhängig von persönlichen Haltungen, die jeder Mensch haben darf, auch Herr Haseloff. Dass das Programm dem Ministerpräsidenten als Vertreter einer konservativen Partei nicht „konservativ genug“ erscheint, wirft eher die Frage auf, was genau „konservativ“ im Journalismus bedeuten soll. Wenn parteipolitische Vertreter explizit Zustimmung erwarten, widerspricht das dem Grundverständnis von eines freien und unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Es würde im Gegenteil Anlass zur Sorge geben, wenn sich eine Partei mit ihren Themen durchgehend positiv in der Berichterstattung wiederfände.
Sich bei derartigen Forderungen auf den „Willen der Bevölkerung“ zu berufen, mag im Jahr vor einer Landtagswahl politisch verständlich erscheinen – es ist jedoch keine belastbare Grundlage für eine sachliche Bewertung journalistischer Arbeit.
Der Vorschlag des Ministerpräsidenten, „konservative Haltungen“ in Ausbildung und Personalentwicklung zu stärken, ist problematisch und gefährlich. Nach welchen Kriterien sollen Journalistinnen und Journalisten ausgewählt oder befördert werden? Nach Parteizugehörigkeit? Nach ihrer persönlichen Weltanschauung? Solche Überlegungen widersprechen nicht nur dem Gleichbehandlungsgrundsatz, sie wären auch ein klarer Verstoß gegen geltendes Arbeits- und Medienrecht. Personalentscheidungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk werden nach journalistischer Eignung getroffen – alles andere wäre undemokratisch und diskriminierend.
Auch Reiner Haseloffs Kritik an der Verfassungsbeschwerde der öffentlich-rechtlichen Anstalten gegen die Blockade der Beitragsanpassung durch einzelne Bundesländer zeigt ein fragwürdiges Rechtsverständnis. Die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist gesetzlich geregelt. Dass ARD und ZDF ihr Recht vor dem Bundesverfassungsgericht einfordern, ist ein legitimer und notwendiger Schritt – gerade dann, wenn politischer Druck auf die Unabhängigkeit der Medien ausgeübt wird. Gesetze sind einzuhalten.
Der Ministerpräsident vermischt auf irreführende Weise zwei Dinge: Die berechtigte Verfassungsklage und die laufenden Reformprozesse innerhalb des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die unter anderem den Abbau von Doppelstrukturen und eine effizientere Aufstellung der Sender zum Ziel haben. Diese Reformen sind bereits im Gange. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind in die vor geraumer Zeit angestoßenen, herausfordernden Reformpläne eingebunden und intensiv mit ihrer Umsetzung beschäftigt.
Vor diesem Hintergrund werten wir die Äußerungen des Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt als Angriff auf die Rundfunkfreiheit. Sie erscheinen uns weniger als Ausdruck sachlicher Kritik, sondern als Teil eines strategischen Manövers zur politischen Profilierung im Vorfeld der Landtagswahl – in einem Bundesland, in dem die AfD als größter politischer Konkurrent Narrative bedient, die Haseloff hier in Teilen übernimmt.
Die Mitglieder des Redaktionsrates des MDR
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AGRA – Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redaktionsausschüsse
Sprecher*innen: Hubert Krech (ZDF), Gabi Probst (RBB), Alexandra Dietz (SWR)
Kontakt: sprecher@agra-rundfunk.de – http://blog.agra-rundfunk.de
Die AGRA ist die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redaktionsausschüsse (ARD, ZDF, Deutschlandradio und Deutsche Welle). Die Redaktionsausschüsse sind jeweils gewählte Vertreter der Redakteurinnen und Redakteure und setzen sich für die innere und äußere Pressefreiheit ein. Die Redakteursmitwirkung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wurde vom Bundesverfassungsgericht bestätigt und ist in mehreren Bundesländern gesetzlich festgeschrieben.