Verhandlung über die Tagesschau-App

Appell an die Intendantinnen und Intendanten

Auf Bitten des Landgerichts Köln verhandeln die ARD und acht Zeitungsverlage über die „tagesschau-App“ und damit über Inhalt und Ausmaß öffentlich-rechtlicher Informationsangebote im Internet. Die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse (AGRA) misst dem Ausgang dieser Verhandlungen eine entscheidende Bedeutung für die künftige Relevanz öffentlich-rechtlicher Rundfunkprogramme bei. Die AGRA fordert deshalb die Intendantinnen und Intendanten auf, sich eindeutig hinter „tagesschau.de“ zu stellen und keinem Kompromiss zuzustimmen, der die Zukunft von ARD und ZDF im Internet gefährdet. Heute berichten verschiedene Medien über die Beratungen der Intendantinnen und Intendanten der ARD über mediale Grenzen im Internet. Am 30.01.2012 nachdem die TAZ über den Entwurf einer gemeinsamen Absichtserklärung berichtet hatte, richtete die AGRA einen Appell an die Intendantinnen und Intendanten, den wir hier im Wortlaut dokumentieren.

Die Qualität des öffentlich rechtlichen Medienangebots hängt maßgeblich mit den Entwicklungsmöglichkeiten im Internet zusammen. Den Eigentümern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, also den Gebührenzahlern, sind Bildung, Unterhaltung, Kultur und Information ohne Einschränkungen auch online zu vermitteln. Das ergibt sich zwingend aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Rundfunkgebührenfestsetzung vom 11. September 2007.

Im Mittelpunkt der Klage steht der Begriff der „Presseähnlichkeit“, mit dem die Verleger seit Jahren gegen öffentlich-rechtliche Online-Angebote agitieren. Der Begriff ist auch nach dem 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag von 2009 irreführend geblieben.

Irreführend vor allem, weil hier ein neues Medium in die Kategorien eines Alten einsortiert werden soll. Tatsächlich aber sind die Inhalte, die ARD und ZDF produzieren, längst multimedialer Natur. Texte, Bilder, Videos, Audios, Musik, interaktive Elemente und die Einordnung in soziale Netzwerke ergänzen sich online. Das entspricht auch unserer Produktionsweise: sie ist in unseren Anstalten längst crossmedial organisiert. Es wäre unserer Meinung nach falsch, die „Presseähnlichkeit“, also letztlich den Anteil von Text am Gesamtwerk, im Vorhinein festzulegen. Dieser Anteil muss sich aus der Art des Ereignisses ergeben, über das multimedial berichtet wird.

Die AGRA hält es für dringend geboten, den Begriff der „Presseähnlichkeit“ notfalls vor dem Bundesverfassungsgericht zu klären. ARD und ZDF dürfen nicht zulassen, dass ihnen das höchstrichterlich zugebilligte Recht auf Entwicklung im Internet durch die Hintertür wieder genommen wird.

Wir können heute in Deutschland auf öffentlich-rechtliche Angebote von hervorragender Qualität blicken. Zahlreiche öffentlich-rechtliche Produktionen haben Auszeichnungen wie den “Grimme Online Award” bekommen: Etwa die multimediale Vernetzung von DRadio Wissen, das “Wunder von Leipzig” von MDR und ARTE, das „Parlameter“ des ZDF, das SWR Kindernetz oder das Tagesschau-Blog.

Die verschiedenen Medientypen werden auch durch die Apps für mobile Geräte enger miteinander verzahnt. Diese Entwicklung ist für die öffentlich-rechtlichen Redakteursvertretungen ein Fortschritt für die Meinungsbildung. Eine weitere Beschneidung der Internetauftritte und mobilen Angebote von ARD und ZDF wäre also auch eine Beschneidung des öffentlich-rechtlichen Programmauftrags insgesamt.

Beim Text-Angebot von „tagesschau.de“ handelt es sich in der Regel um die redaktionell bearbeitete Verschriftung von Audio-Beiträgen der ARD-Korrespondenten. Dies aufzugeben käme einer Enteignung der Gebührenzahler gleich.

Über mobile Endgeräte nutzt heute ein großer Teil gerade der jüngeren Rezipienten die Inhalte von ARD und ZDF. Auf die online-Verbreitung dieser Inhalte in Form der Apps zu verzichten hieße, auch einen beträchtlichen Teil der Zuschauer von morgen zu verlieren.

Stärker als die TV- und Radio-Märkte ist der Online-Markt bestimmt vom Faktor Schnelligkeit. Müssten ARD und ZDF immer warten, bis Audio- oder Video-Inhalte zu aktuellen Ereignissen angeboten werden, würden ihre Seiten nicht mehr den gängigen Erwartungen der Nutzer und ihres Umfeldes gerecht werden. Auch eine Aktualisierung bestehender Meldungen wäre nicht mehr vom tatsächlichen Geschehen diktiert, sondern von den Sendezeiten der TV- und Radioprogramme.

Wir glauben, dass viele der Themen unserer Berichterstattung auf einem rein kommerziell organisierten Markt nicht oder nur in ganz anderer Form vorkämen.

Als Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse fordern wir deshalb die Intendantinnen und Intendanten auf, sich eindeutig zu „tagesschau.de“ in seiner jetzigen Form zu bekennen und jeden Vorstoß zurückzuweisen, der die Angebote von ARD und ZDF im Internet beschränken würde.